Die Studienjahre sind vorbei, du hast einen festen Job, vielleicht auch schon Kinder, die in die Schule gehen. Das eigene Haus ist bezogen und der Traum vom Auslandsjahr gestorben. Viel zu viele Dinge binden dich an dein Leben hier. Du hast haufenweise Ausreden, warum das nicht funktionieren kann.
Die Familie Rillaz ist aller Ausreden zum Trotz dennoch für 11 Monate auf Weltreise gegangen. Job pausiert, Kinder von der Schulpflicht befreit und ab in die große weite Welt. Wie sie das gemacht und welche Träume ihnen den Mut zu diesem Schritt gegeben haben, erfährst du in folgendem Interview.
Anmerkung der Redaktion: Die Familie Rillaz kommt aus Österreich. Wenn sich die beschriebenen Vorgehensweisen in Deutschland von denen in Österreich unterscheiden, gibt es dazu eine Infobox.
Hallo Niki,
wie anfangs schon erwähnt, finde ich es unglaublich mutig von euch auf Weltreise zu gehen. Je gebundener man im Alltag ist, desto schwerer fällt das Loslassen. Was war der Antrieb für euch?
Unsere gemeinsame Leidenschaft war schon immer das Reisen. Über die Jahre sind die 14-tägigen Urlaube zu kurz geworden – wir wollten mehr. Wir überlegten ein wenig. Eigentlich stand einer längeren Reise nichts im Wege: Wir hatten ein wenig Geld gespart, das Haus war fertiggestellt, die Kinder aus dem Gröbsten raus – warum also nicht? Als dann auch noch ganz überraschend meine Mutter starb, wurde uns klar, dass das Leben so unglaublich kurz sein kann. Zu kurz, um es dem täglichen Hamsterrad zu opfern.
Wie kalkuliert man eine Weltreise für eine 4-Köpfige Familie?
Diese Frage haben uns viele gestellt. Wir haben uns vor der Abreise im Internet etwas informiert und aus den unterschiedlichen Werten einen Mittelwert gewonnen. Für Südostasien haben wir die Kosten bei ca. 50 – 70 Euro pro Tag angesiedelt, für Australien bei 80 – 100 Euro. Ob man als Paar oder mit zwei Kindern reist, macht in Südostasien fast keinen Unterschied. Lediglich die Transportkosten sind höher. Dass wir durch Vietnam und einige Teile von Laos mit dem Motorbike gereist sind (insgesamt über 5.000 Kilometer), hat sich sehr positiv aufs Reisebudget ausgewirkt. Insgesamt wollen wir nicht mehr als 30.000 Euro ausgeben – das müsste als Low-Budget-Reisen durchgehen.
Wir dokumentieren alle Kosten in einer Tabelle, sodass wir für Familien, die ähnliches planen, einen genaueren Überblick geben können. Denn wirklich aussagekräftige Werte haben wir vorab nirgends gefunden.
In eurem Blog habe ich in dem Artikel über die etwas andere Verkehrssituation gelesen, dass ihr mit dem Motorbike unterwegs gewesen seid. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das mit dem ganzen Gepäck geklappt hat. Wie sieht die Fortbewegung mit dem Motorbike auf einer Weltreise aus?
Unser Abschnitt mit den Bikes war uns der Liebste. Wir konnten ganz in unserem Takt reisen: Stehenbleiben, wo wir wollten, losfahren, wann wir wollten …
Vietnam ist das ideale Land dafür. Da hier beinahe alles auf Motorbikes transportiert wird, ist es für Vietnamesen geradezu lächerlich, zwei Backpacker-Rucksäcke und zwei Daypacks unterzukriegen. Mit den Bikes kauften wir handgeschweißte Racks dazu, die hinten an der Halterung mit Gummibändern befestigt wurde, darauf kamen die Rucksäcke, darüber der Regenschutz und dann wurde alles mit Expandern fest verschnürt. Zugegeben, mit jeder Etappe wurde unsere Schnürtechnik ausgefeilter, sodass uns am Ende selbst die Vietnamesen bewunderten und beim Aufladen fotografierten.
An den Verkehr gewöhnt man sich schnell. In Vietnam ist man sehr viel langsamer unterwegs, sodass man sich viel leichter in den fließenden Verkehr einordnen kann. Außerdem sind alle Verkehrsteilnehmer sehr aufmerksam – jeder achtet auf jeden. Schrecklich sind nur der Smog und das ständige Gehupe der LKWs.
Auf einem der Fotos habe ich gesehen, dass ihr die Bikes sogar in einem Zug verladen konntet. Ist das dort üblich? Was sind eure anderen, bevorzugten Reisemethoden?
Für die Vietnamesen ist nichts ungewöhnlich, was mit Motorbikes zu tun hat. Wir haben uns täglich aufs Neue gewundert. Da das Motorbike das wichtigste Transportmittel der Vietnamesen ist, nehmen sie es überall mit hin. Es gibt offizielle Tarife bei der Vietnamesischen Bahn dafür. Man kann es auch auf einem Busdach oder im Gepäckraum des Reisebusses verstauen.
Sonst fahren wir mit dem Bus. Leider gibt es in Vietnam, Laos, Kambodscha und Thailand kein öffentliches (staatliches) Busnetz – der Transport ist in Händen privater Anbieter. Man ist deren Preisgestaltung ausgeliefert. Oftmals gibt es Preise für Einheimische und welche für Touristen. Lieber würden wir Bahnfahren. Leider gibt es kaum Bahnverbindungen. Das Schienennetz stammt zudem aus längst vergangenen Zeiten. Da wird man schon mal durchgeschaukelt, dass man in jeder Kurve Angst vor einer Entgleisung hat. Außerdem gibt es ausschließlich Diesel-Loks. Öko-Bilanz also leider auch schlecht. Aber wir wollten ja Abenteuer!
Wie habt ihr eure Arbeitgeber davon überzeugt, euch ins Abenteuer zu entlassen?
Wir haben beide unsere Jobs gekündigt. Sabbatical war nicht möglich, als Bildungskarenz konnten wir es auch nicht angeben. Zunächst war uns beiden am Tag der Kündigung ganz schön unwohl, weil wir nicht wussten, wie es aufgefasst wird. Womöglich würden sie negativ reagieren oder eifersüchtig sein. Aber es kam ganz anders. Sowohl Andis Chef, als auch meine Chefin standen der Idee sehr aufgeschlossen gegenüber. Andi bekam sogar eine Wiedereinstellungszusage, meine Chefin meinte, ich solle mich nach dem Jahr wieder melden. Vielleicht wäre ja ein Platz im Unternehmen frei.
Wie kompliziert war es, die Kinder von der Schulpflicht zu befreien?
Das war einfacher als gedacht. In Österreich hat jeder das Recht, seine Kinder im Rahmen des häuslichen Unterrichts selbst zu unterrichten. Um sein Kind dafür anzumelden, ist lediglich ein zweiseitiges Formular auszufüllen; eigentlich gleicht es eher einer Erklärung. Wenn das letzte Zeugnis des Kindes in Ordnung war, steht der Genehmigung durch den zuständigen Landesschulrat nichts im Wege. Am Ende des Schuljahres muss allerdings eine Externisten Prüfung an einer öffentlichen Schule mit entsprechender Kommission abgelegt werden. Besteht das Kind die Prüfung nicht, wird es verpflichtet, das Schuljahr an einer öffentlichen Schule zu wiederholen. Besteht es die Prüfung, darf auch weiterhin „häuslicher Unterricht“ beantragt werden.
Schulpflicht in Deutschland
In Deutschland ist die Befreiung der Kinder aus der Schule nicht ganz so einfach, da seit 1919 Schulpflicht herrscht. Es gibt für dich zwei Möglichkeiten:- Euch aus Deutschland abmelden
- Einen Antrag auf Befreiung von der Schulpflicht
Einen aufschlussreichen Beitrag findest du dazu hier.
Wie viel müssen die beiden täglich lernen?
Natürlich können wir nicht so regelmäßig unterrichten wie im Schulalltag. Wenn wir einen Reisetag haben, brechen wir immer früh morgens auf. Abends sind die Kinder dann nicht mehr aufnahmefähig (und wir ehrlich gesagt auch nicht). Außerdem kommt es auch auf die Gegebenheiten des Hotels an. Mit Schreibtisch und Ablagemöglichkeiten tut man sich wesentlich leichter. Aber alles in allem unterrichten wir 2-3 Stunden täglich, gleich nach dem Frühstück. Wir verwenden dazu die Schulbücher, die auch die KlassenkollegInnen zuhause benutzen. So ist es relativ einfach, den Stoff zu überblicken und sich mit Mitschülern auszutauschen, in welchem Kapitel sie in welchem Fach gerade sind.
Dann steht der Prüfung ja nichts mehr im Wege.
Was war die größte Erfahrung für euch, die ihr unterwegs gemacht habt?
Rückblickend betrachtet, war es überall schön und aufregend. Es ist schwierig, einen Vergleich zu ziehen. Etwas ganz besonderes war sicherlich unser Aufenthalt im English Club in Nam Dinh in Vietnam, weil wir direkt bei Einheimischen gewohnt und den gesamten Alltag mit ihnen erleben durften. So tief taucht man selten in ein Land ein. In so wenigen Tagen hat sich für uns eine ganz neue Welt aufgetan. Das war für uns alle sicherlich am prägendsten.
Und was war eure größte Herausforderung?
Die Überquerung der Grenze Na Meo zwischen Vietnam und Laos. Wir waren schon über weite Strecken ohne ordentliche Straßen, ohne Geldautomaten und Tankstellen unterwegs gewesen, als plötzlich Andis Motorbike den Geist aufgab. Gleichzeitig ging die Sonne unter – Straßenbeleuchtung, Wohnhäuser – Fehlanzeige. Wir mussten uns noch weitere 20 Kilometer durch vermurte Straßen kämpfen. Immer wieder standen am Straßenrand Schilder, dass man so stolz auf die wildlebenden Tiger in Laos wäre. Da wurde uns schon ganz schön mulmig und wir mussten uns gegenseitig motivieren. Dies war ein Punkt unserer Reise, wo ich das erste Mal gedacht habe „Oh, Gott. Was tun wir den Kindern bloß an?“. Aber schon kurze Zeit später haben wir mit letzter Kraft den ersten Ort in Laos mit Guesthouse erreicht und konnten endlich in Sicherheit ausruhen.
Wenn man mitten im Abenteuer steckt, weiß man noch nicht, dass es am Ende gut ausgeht.
Ja, das weiß man meist nur bei Filmen und Büchern.
Anfangs habt ihr erwähnt, dass ihr ein Haus habt. Was habt ihr damit für die Zeit gemacht?
Das Haus langfristig zu vermieten, wäre kein Problem gewesen – wir hatten sehr viele Anfragen. Am liebsten hätten wir es jemandem vermietet, den wir persönlich kennen. Aber jemanden für nur ein Jahr zu finden, war sehr schwierig. Verständlich, dass man nicht alle elf Monate umziehen möchte. Und was wäre, wenn wir aus welchem Grund auch immer plötzlich heimkehren müssten? Dann bräuchten wir es selbst. Daher haben wir es letztendlich mehr oder weniger zum Selbstkostenpreis an ein älteres Pärchen vermietet. Sie waren auf der Suche nach einem Wochenendhäuschen – dafür ist es zwar zu groß, aber für die beiden war es eine gute Gelegenheit, das Landleben auszuprobieren. Wir vereinbarten, dass wir jederzeit das Mietverhältnis auflösen können. Für beide Seiten also eine wunderbare Lösung. Außerdem konnten wir unsere Möbel im Haus lassen.
Dieses Interview ist Teil der Serie 10 Möglichkeiten für dich ein Auslandsjahr zu machen. Wenn du dich dafür interessierst, wie du einen längere Zeit im Ausland verbringen kannst, unabhängig von Alter, Job oder Finanzierung, dann such dir jetzt die für dich passende Reisemöglichkeit heraus.
Könnt ihr euch überhaupt vorstellen nach 11 Monaten wieder in den Alltagstrott mit zwei Wochen Familienurlaub im Jahr zurückzukehren?
Darüber haben wir erst vor kurzem gesprochen. Momentan können wir es uns gar nicht vorstellen. Am liebsten würden wir ewig so weitermachen. Aber wir müssen wohl, denn irgendwann neigen sich die Geldvorräte dem Ende zu. Außerdem haben die Kinder schon Sehnsucht nach Österreich, der Schule und ihren Freunden.
Was gibt es noch, was ihr an Österreich vermisst?
Das Essen! Wir haben Menschen, die im Urlaub ihr Schnitzel und ihren Schweinsbraten essen wollten, immer belächelt. Selbst haben wir in Österreich wenig Fleisch, viel vegetarisch gekocht. Aber nach einigen Monaten fernab der Heimat schlägt der von Kindheitsbeinen anerzogene Gusto durch. Wir träumen von Wurstsemmeln, Bergkäse, Bauernbrot, Geselchtem … Leider gibt es in Asien keine Jause! Das sollte dringend eingeführt werden!
Das wär doch was: Ein österreichisches Restaurant in Asien.
Letzte Frage: Welche Länder wollt ihr unbedingt noch sehen, bevor es wieder zurückgeht?
Derzeit halten wir uns in Malaysia auf. Hier werden wir noch ein paar Stopps haben. Allerdings werden wir auch eine Menge auslassen müssen. Beispielsweise wollten wir eigentlich nach Borneo. Da die Insel aber so groß wie Deutschland ist, werden wir dafür wohl eine separate Reise hierher unternehmen müssen. Anschließend verbringen wir ein paar Tage in Singapur. Dann wollen wir noch zwei Wochen nach Bali (sofern es die tektonische und wettertechnische Lage zulässt), bevor wir nach Australien fliegen. Dort wollen wir mit einem Camper von Nord nach Süd fahren. Wenn es dann noch machbar ist, würden wir nach Neuseeland fliegen und zum Abschluss über Hawaii und eventuell einem kurzen Aufenthalt am US-amerikanischen Festland nach Österreich zurückkehren. Die letzten Stopps sind allerdings sehr vage. Wir wissen mittlerweile, wie schnell die Zeit vergeht und wie kurz elf Monate leider sein können.